Die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich, KEK, hat am 13.03.2018 das in ihrem Auftrag von Prof. Christoph Neuberger (LMU München) und Prof. Frank Lobigs (TU Dortmund) erstellte Gutachten „Meinungsmacht im Internet und die Digitalstrategien von Medienunternehmen“ in Berlin vorgestellt.
Unter der Moderation der stellvertretenden KEK-Vorsitzenden, Prof. Dr. Insa Sjurts, diskutierten die Verfasser mit Annette Kümmel (ProSiebenSat.1 Media SE), Marc Schröder (Mediengruppe RTL Deutschland) und Thomas Schultz-Homberg (Frankfurter Allgemeine Zeitung) von Seiten der Medienunternehmen sowie KEK-Mitglied Prof. Dr. Ralf Müller-Terpitz die Erkenntnisse des Gutachtens und die Folgerungen, die daraus zu ziehen sind.
Die Runde war sich einig, dass die deutsche Medienordnung aktuell nicht für alle Sachverhalte, die von hoher Relevanz für die Meinungsbildung sind, adäquate Lösungen bereithält. Festzustellen ist, dass die zunehmende Fragmentierung der Medienlandschaft und der wachsende Einfluss von Plattform-Konzernen wie Google, Facebook und Amazon zu einer Erosion der Meinungsmacht klassischer Medienunternehmen führen. Der Vorsitzende der KEK, Prof. Dr. Georgios Gounalakis, betonte die Dringlichkeit, dies in einem modernen Konzentrationsrecht zu berücksichtigen. Er verwies auf die Vorschläge der KEK für ein Gesamtmarktbetrachtungsmodell und den bestehenden Dialog mit der Medienpolitik.
Das Gutachten kommt zu folgenden zentralen Ergebnissen:
Die Meinungsbildungsrelevanz des Internet nimmt zu. Dies betrifft sowohl die allgemeine Nutzung (Tagesreichweite, Nutzungsdauer) als auch die qualifizierte Nutzung von Nachrichten, politischen Informationen und audiovisuellen Angeboten. Die technisch erweiterten Chancen auf Teilhabe an der öffentlichen Kommunikation, die das Internet eröffnet, führen jedoch nur begrenzt zu einer breiteren Machtverteilung. Intermediäre und nicht-publizistische Akteure mit politischer Relevanz können erhebliche Meinungsmacht erlangen. Nach Ansicht Neubergers sollte das Medienrecht daher nicht nur Medienunternehmen, sondern sämtliche Akteure mit publizistischer oder politischer Relevanz in den Blick nehmen.
Neue Kriterien für die Messung von Meinungsmacht sind erforderlich,
um diese Meinungsmacht, insbesondere im Internet, einschätzen zu können. Neuberger plädierte dafür, neben der Nutzung auch den Angebotsinhalt nach publizistischer und politischer Relevanz sowie die Empfänglichkeit des Publikums (gemessen als Vertrauen bzw. Glaubwürdigkeit) einzubeziehen. Allerdings könne sich die Zuschreibung von Meinungsmacht im Internet angesichts der Vielzahl der am Kommunikationsprozess Beteiligten und der unterschiedlichen Rollen und Konstellationen im Einzelfall schwierig gestalten. Im Fall von Intermediären sei von einer geteilten Meinungsmacht zwischen Plattformbetreibern und denjenigen, die sie verwenden, auszugehen.
Die Meinungsmacht traditioneller Medienunternehmen nimmt ab. Während die Vorgängeruntersuchung aus dem Jahr 2010 (Die Bedeutung des Internets im Rahmen der Vielfaltssicherung, Schriftenreihe der Landesmedienanstalten) den traditionellen Medienunternehmen noch eine überragende und weitgehend exklusive Meinungsbildungsrelevanz attestiert hatte, kommt die aktuelle Untersuchung zu dem Ergebnis, dass eine wesentliche Umverteilung der Meinungsmacht stattgefunden hat: Die Meinungsmacht habe sich von den traditionellen Medienunternehmen hin zu Intermediären und nichtpublizistischen Anbietern mit politischer Relevanz verschoben. Für die öffentliche Kommunikation werden komplexe Netzwerkstrukturen genutzt, die von Intermediären bereitgestellt und kontrolliert werden. Die Medienunternehmen haben in diesem Bereich ihre Position als zentrale Gatekeeper verloren und verlagern ihre Aktivitäten in nicht-publizistische und politisch irrelevante Bereiche. Sie verlieren somit relativ an Meinungsmacht.
Die „Plattform-Revolution“ des Internet prägt die aktuelle Entwicklung. Mit dem Begriff der „Plattform-Revolution“ wird der Prozess der Disruption und Transformation von immer mehr Wirtschaftsbranchen durch Internetplattformen wie Google, Facebook und Amazon bezeichnet. Nach Prof. Lobigs äußert sich die „Plattform-Revolution“ sowohl bei den Verlagen als auch bei den Fernsehunternehmen darin, dass das klassische publizistische Kerngeschäft im Internet einer zunehmenden Substitutionskonkurrenz durch große internationale Plattformkonzerne unterliege, die die Erfolgs- und Wachstumspotenziale dieses Kerngeschäfts immer weiter einenge.
Die Medienunternehmen reagieren auf die „Plattform-Revolution“ mit Anpassungsstrategien. Im Zentrum steht insbesondere die Wettbewerbsmacht großer Plattform-Konzerne auf dem Online-Werbemarkt. Lobigs unterscheidet verschiedene Grade von Anpassungsstrategien danach, ob sie das digitale publizistische Kerngeschäft betreffen (z. B. die Bildung von Werbemarkt- und Log-in-Allianzen), neue Content-bezogene Strategien entwickeln (z. B. der Erwerb von Content-Marketing-Agenturen oder YouTube-Multi-Channel-Networks) oder gänzlich neue digitale Geschäftsfelder eröffnen (z. B. E-Commerce-Shops, Rubrikenmärkte etc.). Diese Anpassungsstrategien werden durch Fallstudien für zehn deutsche Fernseh- und Presseunternehmen untermauert, darunter ProSiebenSat.1 Media, RTL Mediengruppe Deutschland, Axel Springer, Hubert Burda Media, Frankfurter Allgemeine Zeitung und Madsack Mediengruppe.
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Das Gutachten ist hier abrufbar.
Christoph Neuberger, Frank Lobigs: Meinungsmacht im Internet und die Digitalstrategien von Medienunternehmen
Schriftenreihe der Landesmedienanstalten, Band 51, VISTAS Verlag Leipzig
35,- Euro, ISBN: 978-3-89158-641-9
Pressemitteilung hier downloaden
Kontakt bei Medien-Rückfragen:
Prof. Dr. Georgios Gounalakis
Vorsitzender der KEK
Bernd Malzanini
Bereichsleiter Medienkonzentration
Telefon: +49 (0)30 2064690-61
Mail: kek(at)die-medienanstalten.de
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