Real und doch nur gespielt – Erfolgsmodell (?) Scripted Reality

Entertainment in einer (pseudo )dokumentarischen Verpackung. Das vermeintlich irreführende Spiel mit non-fiktionalen Stilmitteln und erfundenen Konflikten beschert privaten Sendern im Nachmittagsprogramm hohe Marktanteile und Reichweiten. Was den Sendern ein Erfolgsmodell, empfindet manch anderer als Täuschung. Doch haben die Journalisten ein Vorrecht auf bestimmte Stilmittel? Durchschauen junge Rezipienten die Dekonstruktion non-fiktionaler/dokumentarischer Stilmittel als unterhaltendes Hybridgenre? Spielen die Formate mit den Rezipienten oder auch umgekehrt?

Dr. Maya Götz, führte in ihrer Keynote aus, dass Scripted Reality kein eindeutig festgelegtes Genre beschreibe. Die Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen München erklärte: Bei Formaten wie „X-Diaries“ und „Familien im Brennpunkt“ (beide RTL II) handele es sich um fiktionale Formate in dokumentarischen Stil, die streng nach Drehbuch konzipiert sind, aber in „look and feel“ den Anspruch erheben, das „echte Leben“ widerzuspiegeln. Damit unterscheiden sie sich laut Götz von anderen Reality-Formaten, die in erkennbarem Studiosetting entstehen. In dramaturgischer Hinsicht griffen „X-Diaries“ und „Familien im Brennpunkt“ komplexe soziale Themen auf, verdeutlichten sie durch vereinfachten Gut/Böse-Antagonismus und lösten sie extrem verkürzt auf. In den entwicklungspsycholgischen Wirren der (Vor)pubertät stehende Zuschauer könnten hier eine reduzierte Sicht ihrer Alltags-Schwierigkeiten wiederfinden. Vorgeführt werde dabei aber eine eher bildungsferne Gruppe. So entstehe bei Scripted Reality eine „emotionale Realität“, die Kinder und Jugendliche in ihrer eigenen Lebens- und Bedürfniswelt erreiche. Laut der Umfragen ihres Instituts verstehe zwar ein beträchtlicher Teil der Zielgruppe den inszenierten Charakter der Filme. Ein großer Teil davon lebe aber im Glauben, dass die Protagonisten in ihrem Alltag von einer Kamera begleitet würden. Durch Stilmittel wie Off-Kommentar und scheinbar mühsam hergestelltem Zugang zu höchst privaten Bereichen der Protagonisten werde zu diesem Zweck mit Methoden aus dem klassischen Dokumentarfilm gearbeitet. Zusätzlich erleichtere der Stil des Formats die Projektion der eigenen Person auf das Geschehen:

Die Fantasie entsteht, jederzeit selbst mitspielen zu können.


Gegenstand von Scripted Reality seien in der Tat Menschen und Situationen, die niemals „bigger than life“ seien, bestätigte Stefan Cordes, Geschäftsführer von Filmpool Köln. Ganz pragmatisch sieht der Produzent der zwei von Götz untersuchten Sendungen im Stil dieser Formate auch ihre Produktionsbedingungen gespiegelt: Angesichts knapper Budgets und der standardisierten Entwicklung der Geschichten seien Klischees durchaus Elemente der konfliktreichen, aber komplexitätsmindernd aufgelösten Erzählungen. Dass die Sendungen Realität vorspiegelten, ließ er trotz der Studienergebnisse nicht gelten:

Realismus ist etwas anderes als Realität.

Einfacher fasste sein Auftraggeber Christian Rudnitzki, Abteilungsleiter Unterhaltung/Scripted Program bei RTL II, die Ziele des Formats zusammen: „Wir wollen Unterhaltung und gute Geschichten.“

Vor allem medienethische Fragestellungen ergaben sich für Winfried Engel, Vorsitzender der GVK der Medienanstalten. Zu beachten sei, welches Menschenbild durch die angebliche Authentizität und  Glaubwürdigkeit des Formats vermittelt werde. Auch die Arbeit mit Laiendarstellern, die plötzlich in der Öffentlichkeit stünden, verpflichte zu Verantwortung.

Zur besseren Transparenz brauche man eine deutliche Kennzeichnung des Formats als Fiktion.

Weiter nötig seien eine umfassende Kommunikation zwischen Sendern, Produzenten, Jugendschutzeinrichtungen und der jungen Zielgruppe sowie intensive Vermittlung von Medienkompetenz in Familien und Schulen. Ein Verfahren, mit dem sich sowohl Produzent Cordes als auch Medienpädagogin Götz identifizieren konnten.

Tagungsbericht der Medientage München GmbH

Keynote

Dr. Maya Götz, Leiterin Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI), München

Podiumsdiskussion

Stefan Cordes, Geschäftsführer filmpool, Hürtz

Winfried Engel, GVK-Vorsitzender

Dr. Maya Götz, Leiterin Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI), München

Christian Rudnitzki, Abteilungsleiter Unterhaltung/Scripted Program bei RTL II

Moderation

Klaudia Wick, Fernsehkritikerin und Mitglied der deutschen Fernsehpreis-Jury, Berlin

 

Fotos: Medientage München GmbH

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