„Es mag viele Dinge geben, die unsäglich sind. Unsagbar sind sie dadurch nicht.“
„DLM im Dialog 2025“: Medienanstalten setzen beim jährlichen Branchentreffen auf persönlichen Austausch und diskutieren zum Zustand der öffentlichen Debatte in Deutschland mit Bundesverfassungsrichter a. D. Peter Müller
Die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) hatte am 11. März zu ihrem jährlichen Branchentreffen in die Vertretung des Landes Brandenburg beim Bund eingeladen. Im Mittelpunkt des neuen Veranstaltungsformats „DLM im Dialog“ standen in diesem Jahr die fachliche Vertiefung und der persönliche Austausch. Vertreter:innen aus Politik, Medien- und Digitalwirtschaft diskutierten gemeinsam über zentrale medienpolitische Fragestellungen und Herausforderungen.
Vor rund 150 geladenen Gästen betonte die Vorsitzende der Direktorenkonferenz Dr. Eva Flecken: „Wir müssen raus aus der Empörungszentrifuge und rein in eine Debattenkultur, die Atem hat – nicht nur Klicks. Meinungsfreiheit und Medienvielfalt sichern wir nicht durch Lautstärke oder kurzfristige Empörung, sondern durch Weitsicht, staatsferne Regulierung und einen konsequenten Einsatz für Chancengleichheit in der öffentlichen Meinungsbildung. Gerade in diesen Zeiten ist unsere Staatsferne ein Wert an sich. Messen Sie uns deshalb nicht an gefühlten Wahrheiten zum Föderalismus. Messen Sie uns an unserem Handeln.“
Zum Zustand der öffentlichen Debatte in Deutschland
Thematischer Schwerpunkt des Abends war die Frage nach dem Zustand der öffentlichen Debatte in Deutschland, die Bundesverfassungsrichter a. D. Peter Müller in seiner Keynote beleuchtete. Dabei warf er einen Blick auf die Herausforderungen und Spannungsfelder der öffentlichen Diskurskultur und widmete sich insbesondere der Meinungsfreiheit, der Medienlandschaft und den digitalen Entwicklungen.
Aus juristischer Perspektive betonte Müller die umfassende Bedeutung der Meinungsfreiheit: „Sie schützt auch die abwegige Meinung, die polemische Meinung, die geschmacklose Meinung, unanständige Meinung – alles das schützt der Artikel 5 Absatz 1. Selbst Meinungen, die auf eine grundlegende Änderung der politischen Ordnung abzielen, unterfallen dem Schutzbereich der Norm, weil das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt hat: sich dagegen zu wehren, ist Aufgabe der geistigen Auseinandersetzung und der Aufklärung in Erziehung und Schule.“
Müller beobachtet eine zunehmende Verengung des gesellschaftlichen Diskurses und fordert eine erneute Diskussion über die Grenzen des Sagbaren – mit klarer Orientierung am Grundgesetz: „Die Grenzen des Sagbaren werden bestimmt durch Artikel 5 Absatz 2 des Grundgesetzes und nichts anderes. Es mag viele Dinge geben, die unsäglich sind. Unsagbar sind sie dadurch nicht.“ Eine moralische Ausgrenzung bestimmter Meinungen schade der Demokratie, so Müller. Um Menschen wieder in die öffentliche Debatte einzubinden, sei ein offener Diskurs essenziell.
Darüber hinaus erinnerte Müller an die verfassungsrechtliche Aufgabe von Rundfunk und Presse, Meinungsvielfalt abzubilden. Doch er stellte in Frage, ob sie dieser Aufgabe noch gerecht würden. Besonders kritisch sieht er den „Haltungsjournalismus“ und formuliert seine Forderung unmissverständlich: „Journalismus soll nicht missionieren, sondern informieren.“
Ein weiteres großes Problem seien die Auswirkungen von Algorithmen und sozialen Medien auf die öffentliche Debatte. Müller machte deutlich: „Algorithmen sind demokratieblind, sie haben keinerlei Interesse an der Abbildung von Vielfalt. Sie haben Interesse an Nutzerbindung, weil man damit Geld verdienen kann.“ Und weiter: „Das Netz belohnt Hass und Hetze, es belohnt die Verbreitung von Verschwörungstheorien und Unwahrheiten.“
Er plädiert daher für eine stärkere Regulierung auf mindestens europäischer Ebene (DSA), da rechtliche Grenzen aus der analogen Welt auch online gelten müssten.
Abschließend sprach sich Müller für eine angemessene finanzielle Ausstattung der Landesmedienanstalten aus. Nur mit einer an die neuen Herausforderungen angepassten Finanzierung könnten sie ihre Aufgaben, insbesondere im digitalen Zeitalter, wirksam erfüllen.
Werkstattgespräche: Vertiefte Diskussionen zu Schlüsselthemen
Am Nachmittag fanden zunächst in kleinerer Runde drei Werkstattgespräche statt, die Raum für tiefergehenden Austausch zu spezifischen medienpolitischen Themen boten.
Cornelia Holsten, Direktorin der Bremischen Landesmedienanstalt (brema), leitete eine Diskussionsrunde zum Thema „Gleichberechtigte Teilhabe durch Barrierefreiheit“. Vertreter:innen von Betroffenenverbänden, Medienanbietern und der Landesmedienanstalten tauschten sich über die aktuellen Ergebnisse des Monitorings zur Barrierefreiheit aus. Zudem wurden mit Blick auf die anstehende Evaluation der AVMD-Richtlinie mögliche regulatorische Verbesserungen erörtert.
Ein weiteres Werkstattgespräch moderierte Prof. Christian Krebs, Direktor der Niedersächsischen Landesmedienanstalt (NLM), zum Thema „Politische Werbung: Kriterien und Abgrenzung“. Ziel war es, ein gemeinsames Verständnis darüber zu entwickeln, was politische Werbung ausmacht und wie sie sich von politischer Meinungsäußerung unterscheidet. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen in Rundfunk und Telemedien wurden mögliche Anpassungen der Regulierung diskutiert.
Eva-Maria Sommer, Direktorin der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein (MA HSH), widmete sich in ihrem Werkstattgespräch der Frage „Wie verändert KI die Online-Suche?“. Diese Diskussion diente zugleich als Auftakt für eine Studie der Medienanstalten zu diesem Thema. Die Teilnehmer:innen analysierten aktuelle Trends und Herausforderungen, insbesondere mit Blick auf die Auswirkungen auf die Meinungsvielfalt. Die Erkenntnisse aus dem Gespräch fließen unmittelbar in die geplante Studie ein.
Durch die Veranstaltung führte Dr. Torben Klausa, der beim Think Tank Agora Digitale Transformation den Bereich Digitale Öffentlichkeit leitet.
Auf der Veranstaltungsseite finden Sie in Kürze – neben Fotos der Veranstaltung – auch eine Aufzeichnung der Keynote von Bundesverfassungsrichter a. D. Peter Müller.