Netzwerkdurchsetzungsgesetz

Stellungnahme der Medienanstalten zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes

Stellungnahme
Vorschaubild der PDF-Datei

Berlin, 17.02.2020

Stellungnahme der Medienanstalten zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes

Vorbemerkung

In Deutschland gibt es 14 staatsfern organisierte Landesmedienanstalten. Sie sind zuständig für die Aufsicht im privaten Hörfunk und Fernsehen sowie im Internet. Zu den Aufgaben zählt insbesondere die Überwachung der gesetzlich bestimmten Programmgrundsätze, der Jugendmedienschutzbestimmungen und der Werberegelungen. Grundprinzipien sind der Schutz der Menschenwürde und der Jugend, die Sicherung der Medien- und der Meinungsvielfalt sowie der Nutzerschutz; geregelt sind die Aufgaben im Rundfunkstaatsvertrag, im Jugendmedienschutzstaatsvertrag und in den Landesmediengesetzen.
Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) ist die zentrale Aufsichtsstelle für den Jugendmedienschutz im privaten Rundfunk und den Telemedien. Ihre Aufgabe ist es – unbeschadet der strafrechtlichen Verantwortlichkeit eines Anbieters – für die Einhaltung der Jugendschutzbestimmungen zu sorgen, die im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) verankert sind. Als Organ der Landesmedienanstalten prüft die KJM, ob Verstöße gegen diese Bestimmungen vorliegen und entscheidet über entsprechende Folgen für die Anbieter. Diejenige Landesmedienanstalt, die den betreffenden Rundfunksender lizenziert hat oder in deren Bundesland der Telemedienanbieter sitzt, vollzieht die von der KJM beschlossenen Maßnahmen (Beanstandungen, Untersagungen, Bußgelder). Die KJM ist ein plurales Organ mit Vertreterinnen und Vertretern des Bundes, der Länder und der Landesmedienanstalten. Auch hier ist das strukturelle Leitmotiv die Staatsferne.

1    Gefahr der Mehrfachzuständigkeit

Das NetzDG sowie der JMStV knüpfen bereits jetzt gleichermaßen Rechtsfolgen an die Feststellung von Verstößen gegen die strafrechtlichen Normen der §§ 86, 86a, 126, 130, 131, 184b, 184d StGB in sozialen Netzwerken, womit hier Überschneidungsbereiche trotz unterschiedlicher gesetzlicher Zielrichtungen gegeben sind. Die bei den Anbietern oder einer Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung vorgenommene Prüfung von Verstößen im Rahmen des nach dem NetzDG vorzuhaltenden Beschwerdemanagements sowie die dabei anzuwendenden Beurteilungskriterien und die darauf gestützte Löschung beziehungsweise Sperrung von Inhalten wirken sich damit unmittelbar auf die Arbeit der KJM sowie der Landesmedienanstalten aus.

Eine Auswirkung der Vorgaben des NetzDG ergibt sich auch bei der Etablierung von Kriterien des Bundesamtes für Justiz (BfJ) bei der Anerkennung, beim Versehen der Anerkennungsentscheidung mit Nebenbestimmungen sowie bei gegebenenfalls notwendigen Satzungsänderungen der Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung. Dies gilt insbesondere, sofern diese Einrichtung bereits nach JMStV als Selbstkontrolleinrichtung anerkannt ist.

So ist es theoretisch möglich, dass ein einziger strafrechtsrelevanter Inhalt bei vier Stellen zum Gegenstand einer Prüfung beziehungsweise eines Verfahrens wird – nämlich bei der Staatsanwaltschaft, dem BfJ, einer Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung und der KJM. Auch ein Auseinanderfallen der Einschätzung über die strafrechtliche Relevanz und damit verbundene Abstimmungsschwierigkeiten sind denkbar.

In beiden Bereichen gilt es, einheitliche Standards zu schaffen, die den im Bereich des JMStV entwickelten qualitativen Standards entsprechen. So lassen sich auch die bisher vorhandenen Strukturen sowie der große Erfahrungsschatz der Landesmedienanstalten im Umgang mit Verfahren im Bereich strafrechtlich relevanter Inhalte im Internet für das NetzDG nutzbar machen.

In dieser Hinsicht verweisen wir auf andere bereits gesetzlich etablierte und bewährte Abstimmungsprozesse in Form eines institutionalisierten Informationsaustausches und der Einvernehmens- und Benehmensherstellung in Schnittstellenbereichen zwischen Länder- und Bundeszuständigkeiten an verschiedenen Stellen wie etwa in den Bestimmungen der § 123 Abs. 2 TGK und §§ 40 Abs. 4, 42 Abs. 5, 50c Abs. 2 GWB sowie des § 39 f. RStV.

Vor diesem Hintergrund regen die Landesmedienanstalten an, im NetzDG einen institutionalisierten Informationsaustausch des BfJ mit der KJM im Falle von dem BfJ bekannt gewordenen Einzelfällen mit Bezug zu den auch im JMStV zu prüfenden Tatbeständen vorzusehen; eine Verpflichtung zur Festlegung von einheitlichen Kriterien für die Beurteilung von Verstößen im Rahmen des Beschwerdemanagements sowie eine Einvernehmensherstellung mit der KJM in jenen Fällen vorzusehen, die einen auch im JMStV zu prüfenden Tatbestand betreffen; eine Einvernehmensherstellung zwischen dem BfJ und der KJM im Fall der Anerkennung einer Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung vorzusehen.

Ein regelmäßiger Austausch sowie – wo nötig – eine Zusammenarbeit zwischen den Landesmedienanstalten und ihrem Organ der KJM mit dem BfJ erscheint insbesondere geboten, da das BfJ durch den vorliegenden Referentenentwurf eines NetzDG-ÄndG von einer reinen Bußgeldbehörde zu einer Aufsichtsbehörde ausgebaut würde. Einzig durch sinnvolle Schnittstellenregelungen kann man dem Anspruch eines modernen Regulierungsansatzes, der die bestehenden Überschneidungen im Bereich der Kommunikationsordnung berücksichtigt, gerecht werden.

2    Kollidierende/konkurrierende Normsetzung

Durch die Ausweitung einiger Vorgaben des NetzDG auf Videosharing-Plattformdienste im NetzDG-ÄndG ergibt sich zudem, dass neben dem Medienstaatsvertrag (MStV), dem JMStV und dem Telemediengesetz ein weiteres Regelungswerk mit der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/1808 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste) betraut ist. Dies geht zulasten einer kohärenten und einheitlichen Regulierungslogik. So sehen sowohl der bereits von der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) verabschiedete Medienstaatsvertrag in § 53k MStV als auch das NetzDG-ÄndG eine Umsetzung von Artikel 28b Absatz 7 AVMD-Richtlinie (behördliche Schlichtung von Streitigkeiten mit Anbietern von Videosharing-Plattformdiensten) vor.

Um insbesondere im Sinne der Nutzerinnen und Nutzer unklare Zuständigkeiten zu vermeiden, sollte von einer Umsetzung des Artikel 28b Absatz 7 AVMD-Richtlinie im NetzDG-ÄndG abgesehen werden.

Durch das in § 3e NetzDG-ÄndG vorgesehen Konsultationsverfahren des BfJ mit dem jeweiligen Sitzland eines Anbieters von Videosharing-Plattformdiensten könnte Konfusion bei europäischen Regulierungsstellen entstehen, da diese in der European Regulators Group for Audiovisual Media Services (ERGA) organisiert sind und in diesem Rahmen eng mit den Landesmedienanstalten zusammenarbeiten. Dies unterstreicht die Notwendigkeit des oben erwähnten Austausches zwischen den Landesmedienanstalten und dem BfJ.

3    Gefährdung des Rechts auf freie Meinungsäußerung

Darüber hinaus birgt das NetzDG auch weiterhin die Gefahr, dass Rechtsdurchsetzung im Internet zunehmend privatisiert wird. Unbeachtet der Einführung einer Meldepflicht durch das „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“, verschärft sich diese Gefahr sogar durch die Einführung eines Gegenvorstellungsverfahrens (das durch den Anbieter durchgeführt werden muss) durch das NetzDG-ÄndG. So müssen private Plattformen auch in Zukunft Entscheidungen im grundrechtsrelevanten Bereich der Meinungsäußerungsfreiheit treffen und nicht die dafür vorgesehenen Behörde und Gerichte. Bei strittigen Fällen – für die das Gegenvorstellungsverfahren ja insbesondere gedacht ist – scheint dies besonders problematisch.

Die Sicherstellung der freien Meinungsäußerung ist, wie die Strafverfolgung eine hoheitliche Aufgabe. Den Interessen der Unternehmen an einem schlanken Verfahren wird bereits durch die Einrichtung von Selbstkontrollinstanzen Rechnung getragen. Eine finale Entscheidung über das Löschen oder den Verbleib von Inhalten muss aber hoheitlichen – und in diesem Falle – staatsfern organisierten - Einrichtungen überlassen bleiben. Das Konzept der Übertragung solcher Aufgaben auf Private muss daher grundsätzlich überdacht werden.

4    Staatsferneprinzip

Im Übrigen sind wir nach wie vor der Auffassung, dass sich beim NetzDG verfassungs- und europarechtliche Fragen bezüglich einer an-gemessenen Berücksichtigung des Gebots einer von der Regierung unabhängigen, staatsfernen Aufsicht im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit stellen. Die Staatsferne der Aufsicht über Medieninhalte ist ein zentrales Prinzip der Bundesrepublik, warum auch die Landesmedienanstalten staatsfern sein müssen. Auch die in der Gesetzesbegründung mehrfach zitierte AVMD-Richtlinie fordert in Artikel 30 (1), dass die mit der Umsetzung der Richtlinie betrauten Regulierungsbehörden „rechtlich von Regierungsstellen getrennt und funktionell unabhängig von ihren jeweiligen Regierungen“ sein müssen.

Unbeachtet der Arbeit des BfJ, die von den Landesmedienanstalten uneingeschränkt wertgeschätzt wird, ist es daher als problematisch anzusehen, dass das BfJ als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz als Regulierungsstelle im NetzDG benannt ist.