Positionspapier der Medienanstalten zu den Trilogverhandlungen
Berlin, 7. November 2023
A. Vorbemerkung
Die Medienanstalten nehmen die Aufnahme von Trilogverhandlungen der Ko-Legislatoren der Europäischen Union in Bezug auf den Vorschlag eines European Media Freedom Act (EMFA) zur Kenntnis und begrüßen den Fortschritt, der in den wesentlichen Punkten des Verordnungsentwurfes erreicht wurde. Der politische Prozess beim EMFA hat sein Potenzial gezeigt, Medienfreiheit und -vielfalt in Europa zu stärken und zu einer effektiveren Aufsicht im Rahmen der gezielten Abstimmung zwischen unabhängigen europäischen Medienaufsichtsbehörden beizutragen.
Es ergeben sich aus Perspektive der Medienanstalten abstrakt und im Wesentlichen drei Chancen aus den bevorstehenden Trilogverhandlungen:
- Chance einer effektiven und unabhängigen europäischen Kooperationsstruktur zwischen nationalen Medienaufsichtsbehörden: Die Ko-Legislatoren haben den Willen gezeigt, Einvernehmenserfordernisse zwischen der EU-Kommission und dem neu zu schaffenden Gremium für Mediendienste weitgehend abzubauen. Dieser Weg muss im Trilog konsequent fortgeführt werden. Daneben zeigt gerade das Europäische Parlament die Ambition, eine strukturelle Unabhängigkeit des Gremiums von der EU-Kommission anzustreben. Hier eröffnet sich die Chance, gemeinsam mit dem Rat eine Struktur aufzusetzen, die das maximale Maß an Unabhängigkeit garantiert, ohne unnötige bürokratische Hürden aufzubauen.
- Chance eines wirksamen Schutzes redaktioneller Inhalte vor einer Doppelkontrolle durch Plattformen und die Medienaufsicht: Alle drei politischen Institutionen haben die Absicht erkennen lassen, die besondere Rolle von Medieninhalten für demokratische Meinungsbildungsprozesse unabhängig von ihrem Verbreitungsweg abzubilden. Legt man die drei vorliegenden Texte nebeneinander, wird der Wille eindeutig erkennbar, den durch den Digital Services Act aufgesetzten systematischen Mechanismus zur Inhaltemoderation von sehr großen Online-Plattformen so zu ergänzen, dass er der besonderen Rolle der Medien gerecht wird. Diese Absicht müssen die Gesetzgeber nun mit Nachdruck weiterverfolgen.
- Chance einer Abhilfe bei grenzüberschreitenden Szenarien mit Mediendiensteanbietern aus Drittstaaten: Der europäische Rechtsrahmen für den Umgang mit Inhalten, die aus Drittstaaten kommen, ist bislang nicht ausreichend ausdifferenziert. Der EMFA-Vorschlag versuchte hier insofern Abhilfe zu schaffen, dass die europäischen Medienaufsichtsbehörden gemeinsame Maßnahmen erarbeiten und vorschlagen können. Die Ko-Legislatoren haben diesen Mechanismus sinnvoll ergänzt. Im Trilogergebnis muss aus Sicht der Medienaufsicht ein klares Verfahren und eine eindeutige Benennung der unter den Anwendungsbereich fallenden Anbieter stehen. Die Ursache des Problems gilt es mittelfristig in einer Revision der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste anzugehen.
Dazu im Einzelnen:
B. Konkrete Problempunkte und Lösungsansätze
Neben diesen grundlegenden Ausführungen regen die Medienanstalten konkret an, folgende Punkte sorgfältig zu bewerten und gegebenenfalls im Sinne eines effektiven Schutzes der Vielfalt und der Nutzerinnen und Nutzer anzupassen, damit der EMFA seine grundsätzlich unterstützenswerten Ziele erreichen kann:
1. Aufsichtsstruktur und Europäisches Gremium für Mediendienste
Die Medienanstalten begrüßen das klare Bekenntnis der Trilogparteien zur Unabhängigkeit und Staatsferne der nationalen Behörden und des Gremiums in Artikel 9 des Vorschlags. In der Sicherung einer freien, demokratischen und vielfältigen Medienlandschaft ist eine unabhängige Aufsicht ein essenzieller Garant.
1.1. Inhaltliche Unabhängigkeit (Artikel 12 bis 15 EMFA-Entwurf)
Sowohl der Text des Rates als auch der Text des Parlaments weisen eine eindeutige Verbesserung der im Kommissionsvorschlag vorgeschlagenen Formulierungen auf. So hatte die Kommission stets vorgesehen, dass Entscheidungen und Stellungnahmen des Gremiums „im Einvernehmen mit der Kommission“ zu treffen seien. Der Rat hat in seiner Allgemeinen Ausrichtung weitgehend die Formulierung „in Abstimmung mit der Kommission“ gewählt. Das Parlament hingegen streicht die Beteiligung der Kommission an Meinungsbildungsprozessen des Gremiums vollständig. Beide Institutionen gestehen dem Gremium grundlegend auch eine Eigeninitiative zu. Damit könnte es nicht nur auf Bitten der Kommission hin tätig werden.
Aus Sicht der Medienaufsicht ist der Textentwurf des Europäischen Parlaments hier eindeutig vorzuziehen. Gerade bei den Inhalten eigener Stellungnahmen bedarf es einer größtmöglichen Autonomie des Gremiums. Als Beratungsgruppe der EU-Kommission sollte das Gremium nicht darauf angewiesen sein, seine Expertenmeinung zunächst mit der zu beratenden Kommission abstimmen oder gar ein Einvernehmen mit ihr aushandeln zu müssen.
1.2. Strukturelle Ausgestaltung des Gremiums (Artikel 10 und 11a EMFA-Entwurf)
Die Ko-Legislatoren haben die strukturellen Grundbedingungen des Gremiums sinnvoll ausgebaut. So begrüßen die Medienanstalten explizit die vom EU-Parlament in Artikel 10 Absatz 4 vorgeschlagene Lenkungsgruppe des Gremiums, die den in der Praxis der ERGA etablierten Vorstand in das Gremium überführt. Durch die Lenkungsgruppe kann die Arbeit des Gremiums strategisch begleitet und der Vorsitz unterstützt werden. Dies kann gerade kleineren Regulierern dabei helfen, eine aktive Rolle in der Gestaltung der Arbeit des Gremiums auszufüllen.
Die vom Parlament in Artikel 11a vorgesehene Expertengruppe des Gremiums birgt allerdings die Gefahr, eine weitere bürokratisierende Struktur auf das Gremium für Mediendienste aufzusetzen. Damit die Arbeit des Gremiums nicht durch ein kompliziertes Befassungskonstrukt der einzelnen Gruppen verlangsamt wird, regen die Medienanstalten an, die Expertengruppe nur in Fällen um Stellungnahme zu bitten, die Bereiche betreffen, die nicht in den audio-visuellen Sektor fallen und sie auch nur dann einzuberufen, wenn eine Einschätzung zu einem konkreten Fall benötigt wird.
1.3. Strukturelle Ausgestaltung des Sekretariats (Artikel 11 EMFA-Entwurf)
Zudem begrüßen die Medienanstalten die Institutionalisierung der Koordination und Zusammenarbeit der europäischen Medienregulierer durch die Schaffung eines eigenen Sekretariats für das neue Gremium (Artikel 11). Ein solches sichert die abrisslose Unterstützung des Gremiums bei administrativen Aufgaben und kann es so auch kleineren Aufsichtsbehörden ermöglichen, sich aktiv an der inhaltlichen Gestaltung der Arbeit des Gremiums zu beteiligen.
Auf der anderen Seite ersteht aus der Hoheit über die Administration einer Einrichtung auch ein Einfluss auf die Abläufe und Verfahrensschritte. Deshalb sollte die Verfahrenshoheit beim Gremium allein oder einer unabhängigen, nur dem Gremium unterstehenden Stelle liegen.
Parlament und Rat haben Änderungen am Kommissionstext vorgeschlagen, die die strukturelle Unabhängigkeit erhöhen sollen. Das Parlament schlägt hier vor, das Gremium grundlegend mit eigener Rechtspersönlichkeit auszustatten. Der Rat schlägt kleinere Änderungen vor, die die Autonomie des Gremiums und seines Vorsitzenden stärken sollen.
Aus Sicht der Medienanstalten sollte hier ein Kompromiss angestrebt werden, der die maximale Unabhängigkeit des Gremiums sichert. Denkbar wäre zunächst die strukturelle Abkopplung des Sekretariats von der EU-Kommission, indem dem Sekretariat eine Rechtspersönlichkeit zugestanden wird. Es wäre zudem als zweitbeste Option denkbar, eine Struktur zu finden, die die Mitarbeitenden des Sekretariats inhaltlich allein ans Gremium zu knüpft. So könnte beispielsweise das Sekretariat von einer Person geleitet werden, die zwar aus Kommissionsmitteln finanziert, aber vom Gremium ausgewählt wird. Daneben wäre es denkbar, das Sekretariat durch die Aufnahme nationaler Experten weiter von den Kommissionsdiensten zu lösen.
2. Inhaltliche Vorgaben
2.1. Medienprivileg (Artikel 17 EMFA-Entwurf)
Die Medienanstalten begrüßen das klare Bekenntnis beider Institutionen zu einem wirksamen Schutzmechanismus für Inhalte auf Online-Plattformen, die eindeutig von solchen Mediendiensteanbeitern stammen, die einer nationalen Medienaufsicht unterliegen.
Durch den gestärkten Designationsmechanismus in Absatz 1, den beide Ko-Legislatoren um die Bedingung ergänzen, dass der Mediendienst bereits einer Aufsichtsbehörde oder -stelle unterliegt, kann eine Ausnutzung durch desinformierende Akteure verhindert werden. Das Europäische Parlament hat mit Artikel 17 Absatz 2a zudem einen Mechanismus vorgeschlagen, der klarmacht, dass der Medienaufsicht bei der Entscheidung über Inhalte der durch sie beaufsichtigten Mediendienste eine entscheidende Rolle zukommen muss. Die Medienanstalten unterstützen diesen Ansatz explizit.
In der Gesamtschau enthält der Mechanismus, den das Parlament vorschlägt, damit die zwei wesentlichen Elemente europäischer Medienaufsichtsregime: Eine wirksame ex-ante Prüfung, ob ein Mediendienst so ausgestaltet ist, dass er die medienrechtlichen Bestimmungen eines Mitgliedstaates erfüllen kann. Und zweitens überlässt es der Vorschlag im eskalierten Einzelfall der jeweils zuständigen Medienaufsichtsbehörde oder -stelle, eine finale Entscheidung über die Sichtbarkeit eines Inhaltes zu treffen.
Damit kann verhindert werden, dass eine Doppelkontrolle redaktioneller Inhalte stattfindet, indem sie sich zusätzlich an die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Plattformen halten müssen. Diese basieren auf amerikanischen oder chinesischen Wertesystemen und können damit jeweils im Einzelfall zu milderen oder strengeren Entscheidungen führen als es das jeweilig gültige nationale Medienrecht vorsehen würde.
2.2. Sender aus Drittstaaten (Artikel 16 EMFA-Entwurf)
Die Medienanstalten begrüßen den Fortschritt, den Rat und Parlament bei der Ausgestaltung eines wirksamen Mechanismus zur Koordination bei Maßnahmen gegenüber Sendern aus Drittstaaten gemacht haben. Konkret regen die Mitgliedstaaten jedoch zwei Verbesserungen an:
- Die Medienastalten befürworten in Bezug auf den Anwendungsbereich der Norm die Formulierung, die der Rat vorgeschlagen hat. Demnach soll das Verfahren aus Artikel 16 für „services originating from outside the Union“ gelten. Mit dieser Formulierung wird deutlicher, dass alle Dienste gemeint sind – auch solche, die gemäß Artikel 2 Absatz 4 AVMD-RL unter die territoriale Zuständigkeit eines Mitgliedstaates fallen, aber nicht in einem Mitgliedstaat der Union niedergelassen („established“) sind.
- Der Mechanismus zur Koordination von Maßnahmen sollte in einer Weise ausgestaltet sein, der es Aufsichtsbehörden ermöglicht, eine Empfehlung des Gremiums bei ihren Maßnahmen gegenüber Mediendiensten aus Drittstaaten zu berücksichtigen. Dafür könnte man eine ad-hoc einzurichtende Fünfergruppe aus Mitgliedern des Gremiums damit beauftragen, ein Votum abzugeben, wenn eine Aufsichtsbehörde eine Maßnahme von der territorial zuständigen Behörde einfordert. Der vom Parlament in Absatz 2c vorgeschlagene zusätzliche Mechanismus, birgt hingegen das Risiko, bestehende bilaterale Kooperationsmechanismen zu überlagern. Eine Befassung des Gremiums ist diesem Vorschlag daher vorzuziehen.
Schließlich merken die Medienanstalten an, dass das konkrete Problem, für das Artikel 16 EMFA im Einzelfall Abhilfe schaffen kann, in den Rechtshoheitskriterien des Artikel 2 Absatz 4 AVMD-RL begründet liegt. Mittelfristig sollte diese Bestimmung in der AVMD-RL so angepasst werden, dass Sender aus Drittstaaten nicht per se und de facto unter den Schutzschirm des Herkunftslandprinzips fallen, wenn ihr einziger Ankerpunkt an den Binnenmarkt in ihrer technischen Verbreitung liegt.