European Media Freedom Act (EMFA)

Positionspapier der Medienanstalten zum Verordnungsvorschlag der EU-Kommission

Positionspapier
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Berlin, 13. Dezember 2022

A. Vorbemerkung

Die Medienanstalten begrüßen den Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission für ein Europäisches Medienfreiheitsgesetz in seiner prinzipiellen Ausrichtung. Auch im Medienbereich muss den Grundwerten der Europäischen Union Rechnung getragen werden. Das Ziel, Freiheit und Unabhängigkeit der Medien in der Europäischen Union zu schützen, ist daher ausdrücklich unterstützenswert.

Konkret hervorzuheben ist dabei der geplante Rückgriff auf strukturierte Mechanismen zur Kooperation unter den europäischen Medienaufsichtsbehörden im Rahmen eines unabhängigen europäischen Gremiums. Hier lehnt sich der der Vorschlag stark an das seit 2020 bestehende Memorandum of Understanding der ERGA an.

Daneben begrüßen die Medienanstalten, dass die Kommission im Rahmen des EMFA medienspezifische Debatten aufnimmt, die in der Diskussion rund um den Digital Services Act aufgekommen sind.

Trotz dieser begrüßenswerten Grundausrichtung sind die Medienanstalten ernsthaft besorgt über die faktische Abhängigkeit und fehlende Entscheidungsfreiheit des Europäischen Gremiums für Mediendienste (siehe ausführlich Punkt C.1) sowie den wenig ausdifferenzierten Umgang mit Anbietern aus Drittstaaten (siehe dazu Punkt C.2.1).

In der Analyse des Textes kommen die Medienanstalten zum Ergebnis, dass die Europäische Kommission durchaus einige Probleme erkannt hat, mit denen sich die Medienlandschaften in der EU konfrontiert sehen. An einigen Stellen fehlt der Initiative allerdings der Mut, für diese Probleme die notwendigen Lösungswege vorzuschlagen.

Dazu im Einzelnen (selektiv hinsichtlich der Relevanz für die Medienaufsicht):

B. Rechtsgrundlage und Kompetenzfrage

Die Europäische Kommission leitet ihre Regelungskompetenz aus Artikel 114 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ab. Diese Ableitung begründet sie aus dem Ziel des Vorschlages, Schranken für Investitionen und grenzüberschreitende Markttransaktionen zu senken. So soll nicht nur eine positive Umgebung für das freie Angebot von Mediendiensten in der EU geschaffen werden, sondern zusätzlich zu einem diverseren und pluralistischen Medienangebot für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen beigetragen werden. Auf diese Weise stellt sie eine Argumentation auf, die aus einer Binnenmarktlogik heraus das Ergreifen medienvielfaltsrelevanter Maßnahmen ermöglicht.

Diese Argumentationskette wirkt konstruiert und birgt die Gefahr, originär mitgliedstaatliche Kompetenzbereiche weiter auf die EU zu konzentrieren. Die Medienanstalten schließen sich der Kritik der Stellungnahme des Bundesrates vom 25. November 2022 zu der Wahl der Rechtsgrundlage an, werben aber gleichzeitig für eine konstruktive Debatte hin zu einem zielgerichteten EMFA, der seine begrüßenswerten Aspekte weiterverfolgt.

C. Konkrete Problempunkte und Lösungsansätze

Neben diesen grundlegenden Ausführungen regen die Medienanstalten konkret an, folgende Punkte sorgfältig zu bewerten und gegebenenfalls im Sinne eines effektiven Schutzes der Vielfalt und der Nutzerinnen und Nutzer anzupassen, damit der EMFA seine grundsätzlich unterstützenswerten Ziele erreichen kann:

1. Aufsichtsstruktur und Europäisches Gremium für Mediendienste

Die Medienanstalten begrüßen die Initiative der Europäischen Kommission, auf die Arbeit der ERGA zurückzugreifen. Eine Stärkung der ERGA ist vor dem Hintergrund immer vielfältigerer Aufgaben und ihres Vorreiterstatus im Voranbringen grenzüberschreitender Kooperationsmechanismen (vor allem materialisiert in ihrem Memorandum of Understanding) folgerichtig.

Die Medienanstalten begrüßen zudem das klare Bekenntnis der Kommission zur Unabhängigkeit und Staatsferne der nationalen Behörden und des Gremiums in Artikel 9 des Vorschlags. In der Sicherung einer freien, demokratischen und vielfältigen Medienlandschaft ist eine unabhängige Aufsicht ein essenzieller Garant.

1.1. Inhaltliche Unabhängigkeit

Im Verlaufe der später aufgestellten Verfahrensstrukturen widerspricht der Vorschlag allerdings diesem Grundprinzip, indem er der EU-Kommission wiederholt Eingriffskompetenzen einräumt und Abstimmungen mit der Kommission verlangt. Dies gilt für alle relevanten Verfahren in den Artikeln 12 bis 21 und verstößt gegen die Unabhängigkeitsanforderungen.

Die Medienanstalten schlagen vor, zum einen in den entsprechenden Artikeln jegliches Einvernahmeerfordernis zu streichen. Zum anderen muss stets auch ein eigeninitiatives Tätigwerden des Gremiums neben etwaigen Ersuchen der Kommission möglich sein.

1.2. Strukturelle Unabhängigkeit

Die Medienanstalten begrüßen die Institutionalisierung der Koordination und Zusammenarbeit der europäischen Medienregulierer durch die Schaffung eines eigenen Sekretariats für das neue Gremium bei der Europäischen Kommission (Artikel 11).

Eine derartige Einrichtung sichert eine stabile und abrisslose Unterstützung der Administration des Gremiums. Die Intensität der Arbeit der im Gremium zusammengeschlossenen Medienregulierungsbehörden wird dadurch weniger abhängig von der Schlagkraft des jeweiligen Vorsitzlandes. Auch die nicht immer logische Arbeitsdenkweise in Kalender- bzw. Vorsitzjahren kann dadurch aufgebrochen werden.

Allerdings erhöht ein bei der Kommission angesiedeltes Sekretariat die Gefahr einer Abhängigkeit von der Europäischen Kommission, insbesondere von deren internen Prozessen und Verwaltungsabläufen.

Im Wege der Geschäftsordnung des Gremiums muss deshalb sichergestellt werden, dass das Sekretariat abstimmungsorganisatorisch ausschließlich dem jeweiligen Vorsitzenden des Gremiums untersteht.

2. Inhaltliche Vorgaben

2.1. Sender aus Drittstaaten (Artikel 16 EMFA-Entwurf)

Die Medienanstalten begrüßen den erkennbaren Versuch der Europäischen Kommission, mit Artikel 16 auf die Durchsetzungsschwierigkeiten gegenüber Anbietern aus Drittstaaten zu reagieren, die unter Einsatz fragwürdiger Mittel Einfluss auf den Meinungsbildungsprozess in der EU nehmen.

Allerdings ist der Artikel zur Erreichung dieses Ziels in der gegenwärtigen Form nicht geeignet.

Zum einen bietet er durch das Abstellen auf eine „Niederlassung“ außerhalb der Union keine ausreichende und rechtssichere Abgrenzung zu den Verfahren der AVMD-Richtlinie, die auch bei einer reinen Satellitenverbreitung über einen Satelliten eines EU-Mitgliedstaats greifen. Die Maßnahmen nach Artikel 16 beheben insofern nicht die mit den Verfahren nach der AVMD-Richtlinie einhergehenden Unzulänglichkeiten bei der grenzüberschreitenden Rechtsdurchsetzung.

Um eine tatsächliche Verbesserung herbeizuführen, muss Artikel 16 so gefasst sein, dass eine Aufsichtsbehörde im Destinationsland bei ernsten Verstößen in der Lage ist, auf der Grundlage eines zustimmenden Votums einer ad-hoc-Gruppe des Gremiums die Behörde im Herkunftsland zum tatsächlichen Handeln gegen den einheimischen Anbieter aufzufordern.

Zum anderen sieht Artikel 16 für Sachverhalte, die sich vollkommen außerhalb des EU-Binnenmarktes abspielen, die bedingungslose Befassung des Gremiums vor, obwohl derartige Maßnahmen wegen des Fehlens eines Herkunftslandprinzips in der originären Zuständigkeit eines jeden Mitgliedstaates liegen und daher nicht per se eine europäische Dimension aufweisen.

Das Gremium sollte nur dann einschreiten, wenn der betreffende Fall beziehungsweise die Aktion einer nationalen Aufsichtsbehörde ein grenzüberschreitendes, europäisches Element hat und eine ad-hoc-Gruppe des Gremiums eine Befassung durch das Gremium verlangt.

2.2. Interventionsmöglichkeit der Europäischen Kommission bei nationalen Entscheidungen (Artikel 20 und Artikel 21 EMFA-Entwurf)

Artikel 20 Absatz 4 EMFA-Entwurf sieht Interventionsmöglichkeiten für die Europäische Kommission vor, wenn nationale Entscheidungen relevant für den Binnenmarkt sind – auch abweichend von einer Stellungnahme des Gremiums.

Zudem sieht Artikel 21 Absatz 6 i. V. m. Erwägungsgrund 43 eine unabhängige Stellungnahmemöglichkeit der Europäischen Kommission bei Entscheidungen nationaler Behörden zu Marktkonzentrationsbewertungen vor. Auch hier kann die Kommission am Gremium vorbei eine eigene Bewertung anstellen.

Diese Mechanismen unterliegen keinen ausreichenden Eingriffshürden, die die Stellungnahme- und Interventionskompetenz der Europäischen Kommission auf angemessene Fallkonstellationen begrenzen. Im Rahmen der Ausführung ihrer Aufgabe als Hüterin der Verträge sollte die Kommission nur dann eingreifen und eine aktive Rolle einnehmen, wenn systemische Verstöße vorliegen.

2.3. Leitlinienkompetenz der Europäischen Kommission (Artikel 15 und 21 EMFA-Entwurf)

An mehreren Stellen des Verordnungsvorschlages sieht die Kommission eine eigene Leitlinienkompetenz vor; so beispielsweise bei nationalen Kriterien für Marktkonzentrationsmechanismen.

Vor allem ist die in Artikel 15 Absatz 2 Buchstabe a des Verordnungsvorschlages vorgesehene Leitlinienkompetenz der Kommission in Bezug auf Artikel 7a der AVMD-Richtlinie bedenklich. Dieser sieht für die Mitgliedstaaten hohe Flexibilität in der Ausgestaltung der Hervorhebung von Inhalten von allgemeinem Interesse vor. Im Sinne eines auf die nationalen Spezifika zugeschnittenen Angebotes, das dem öffentlichen Interesse dient, stiftet die Offenheit der Norm einen dem Regulierungszweck zuträglichen Sinn.

Bestehende nationale Ansätze zur Hervorhebung von Inhalten von öffentlichem Interesse sollten nicht durch die Satzungskompetenz der Europäischen Kommission konterkariert werden. Das erscheint auch vor dem Hintergrund der in der Einleitung gemachten Ausführungen zur Gesetzgebungszuständigkeit nicht vertretbar. Denkbar wäre ein Rückgriff auf das Gremium zur Aufstellung unverbindlicher Empfehlungen.

2.4. Medienprivileg (Artikel 17 EMFA-Entwurf)

In Artikel 17 nimmt der Verordnungsvorschlag eine Debatte aus den Beratungen des Digital Services Act auf. Diese Aufnahme des Schutzes redaktioneller Inhalte vor unverhältnismäßigen Einschränkungen durch Online-Plattformen auf Basis ihrer allgemeinen Geschäftsbedingungen ist zu begrüßen. Es muss aber tatsächlich sichergestellt werden, dass bereits national beaufsichtigte Angebote nicht erneut durch Plattformen überprüft werden.

Der vorgeschlagene Mechanismus kann diesen Zweck noch nicht erfüllen. Das Verfahren zur vorherigen Information durch die Plattform an den Mediendiensteanbieter stellt noch lange keinen effektiven Schutz der bereits regulierten Inhalte vor einer Doppelkontrolle dar

2.5. Konkrete Anwendung (Kapitel II, v.a. Artikel 3 und 4 EMFA-Entwurf)

In Kapitel II des vorliegenden Entwurfes ist stets unklar, wie und durch wen eine konkrete Anwendung der Bestimmungen erfolgen soll.  Da für den EMFA die Rechtsform einer Verordnung beabsichtigt ist, sollte hier klargestellt werden, wie bei Verstößen konkret vorzugehen ist.

Es besteht aus Sicht der Medienanstalten keine Notwendigkeit, Aufsichtsbehörden und Mitgliedstaaten unter eine weitere Aufsichtsinstanz zu stellen. In Fällen von Verstößen gegen die Bestimmungen des Artikel 4 sollte der Rechtsweg ausreichende Entscheidungsmechanismen bereithalten. In Fällen, in denen Mitgliedstaaten systematisch und schwerwiegend gegen die Prinzipien der Artikel 3 und 4 verstoßen, ist es die Aufgabe der Europäischen Kommission, im Rahmen ihrer Rolle als Hüterin der Verträge tätig zu werden.

2.6. Unabhängigkeitsgarantien für Mediendienstanbieter, die Nachrichten und Inhalte zur aktuellen Information bereitstellen (Artikel 6 Absatz 2 EMFA-Entwurf)

Die Medienanstalten begrüßen ausdrücklich das Recht auf die
Unabhängigkeit redaktioneller Entscheidungen. Ein solches Recht darf allerdings keineswegs in einer Weise formuliert sein, dass daraus eine Einschränkung der nationalen Systeme zur Sicherung der Medienvielfalt resultiert.

Eine vielfältige Medienlandschaft lebt zwangsläufig von der pluralen Ausgestaltung des Angebots. Entsprechend kann auch eine Tendenz in der Berichterstattung – im angemessenen Rahmen – einer vielfältigen Medienlandschaft mithin zuträglich sein. Folglich fordern die Medienanstalten, die Formulierung des Artikel 6 in einer Weise anzupassen, die eine vielfaltsbeeinträchtigende Wirkung ausschließt.