Verordnung über die Transparenz und das Targeting politischer Werbung
Verordnung über die Transparenz und das Targeting politischer Werbung
Positionspapier der Medienanstalten zum Vorschlag der EU-Kommission
1 Vorbemerkung
Die Medienanstalten begrüßen grundsätzlich den Legislativvorschlag der Europäischen Kommission über die Transparenz und das Targeting politischer Werbung. Die Schaffung einer einheitlichen Definition von politischer Werbung hat das Potenzial, bestehende Fragmentierungen zwischen den Mitgliedstaaten und vor allem bei verschiedenen Online-Plattformen abzubauen und so ein einheitliches Vorgehen zu ermöglichen. Gerade vor dem Hintergrund grenzüberschreitender politisch werblicher Inhalte ist dies zu begrüßen. Darüber hinaus unterstützen die Medienanstalten die Schaffung umfassender und zugänglicher Transparenznotizen. Diese können dazu beitragen, politische Werbung für den Nutzer leichter erkennbar zu machen und den Urheber politisch werblicher Inhalte eindeutig aufzudecken.
Um diese Transparenz nachhaltig und effektiv zu gewährleisten, muss der Verordnungsvorschlag allerdings einzelne Konzepte und Definitionen klarer voneinander abgrenzen. Darüber hinaus – und mit dieser Anforderung verbunden – sollte largemacht werden, wer der regulierten Akteure bei Verfehlungen die Verantwortung übernimmt. Gleichzeitig muss ein effektiver Datenzugang gewährleistet werden, um eine bestmögliche Aufsicht zu ermöglichen. Die Aufsichtsstruktur sollte insofern vereinfacht werden, dass sich kein Flickenteppich zwischen zuständigen Behörden und verschiedenen Koordinierungsstellen ergibt. Zudem muss der Vorschlag die Spezifika der regulierten Akteure (vom Rundfunk über die Presse bis hin zum Online-Bereich) sowie bestehender nationaler Regelungen und Besonderheiten der nationalen Medienordnungen berücksichtigen. Zu diesem Zwecke gilt es vor allem, eine Über- bzw. Untererfassung politischer Werbung zu verhindern, die aus einer unklaren definitorischen Abgrenzung resultieren könnte.
2 Im Einzelnen
2.1 Definition politischer Werbung (Art. 2)
Der Verordnungsvorschlag wählt eine sehr breite Definition von politischer Werbung. Diese Definition wird dann allerdings im Rahmen der folgenden Bestimmungen zum persönlichen Anwendungsbereich immer weiter eingeschränkt (z. B. über die Definitionen von „politischen Werbedienstleistungen“ oder „Herausgeber politischer Werbung“, auf die die Bestimmungen Anwendung finden). Erwägungsgrund 29 stellt klar, dass die Transparenzbestimmungen nur dann gelten, wenn eine Gegenleistung für die politische Werbedienstleistung erbracht wurde. Dabei bleibt unklar, was die Schwelle für eine solche Gegenleistung ist. So ist beispielsweise nicht klar, ob organisch geteilte Inhalte von professionellen Online-Accounts, die politisch werbliche Zwecke verfolgen, ebenfalls umfasst sind. Diese Lücken sollte der Verordnungsvorschlag schließen. Aus ihrer praktischen Erfahrung geben die Medienanstalten zu bedenken, dass die Umsetzung des Verordnungsvorschlags in der vorgeschlagenen Fassung mit Blick auf die Bestimmung des Begriffs „politische Werbung“ weitreichende und möglicherweise nicht beabsichtigte Konsequenzen für die Regulierung politischer Werbung haben könnte:
a) Ein wesentlicher Teil der Phänomene, die bislang als politische Werbung zu bewerten sind, wäre dies nun nicht mehr. Im Ergebnis stünde eine weitgehende Aushöhlung des Verbotes politischer Werbung im Rundfunk und ein Wegfallen von Kennzeichnungspflichten in Telemedien zu befürchten (Untererfassung).
b) Daneben gälten einige Werbeinhalte, die gegenwärtig fraglos als Wirtschaftswerbung zu bewerten sind, künftig als politische Werbung (Übererfassung).
Neben den mutmaßlich nicht intendierten Auswirkungen wäre schon das Regulierungsziel Transparenz gerade nicht zu erreichen. Darüber hinaus wäre ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit für Werbetreibende zu erwarten. Gemäß der Begriffsbestimmung des Art. 2 Nr. 2 des Verordnungsvorschlages wird eine Kommunikationsmaßnahme zur politischen Werbung, wenn (a)) sie durch oder im Interesse eines „politischen Akteurs“ geschieht oder (b)) einen formalen politischen Prozess beeinflussen könnte.
a) Viele dezidiert politische Akteure sind keine „politischen Akteure“ i. S. d. Verordnung (Untererfassung)
Die abschließende Bestimmung des Begriffs „politischer Akteur“ in Art. 2 Nr. 4 führt dazu, dass „politische Akteur[e]“ nur Teilnehmende am formalisierten politischen Prozess sind, also etwa Parteien, Personen, die ein Amt oder Mandat anstreben oder innehaben oder Organisationen, die eine Wahl o.ä. beeinflussen sollen.
Keine „politischen Akteure“ i. S. d. Verordnung wären demnach:
- Staatliche Stellen
- Staatsnahe Stellen
- Gebietskörperschaften
- Verbände, z.B. Arbeitgeberverbände
- Gewerkschaften
- Lobby- und Interessengruppen
- NGOs
- Think Tanks
- Politische Stiftungen, sofern sie keine parteinahen Stiftungen sind
- Einzelpersonen mit politischer Agenda außerhalb des formalisierten
politischen Prozesses - Unternehmen mit politischer Agenda, z.B. mit der Forderung nach
dem Bau einer Umgehungsstraße - ...
Sofern Werbung von oder im Interesse der Genannten keinen Bezug zu einem formalisierten politischen Prozess wie einer Wahl aufweist (vgl. b)), gälte sie nicht als politische Werbung, egal, wie politisch ihr Inhalt ist.
Da es sich bei derartiger Werbung aber auch nicht um „kommerzielle Kommunikation“ i. S. d. AVMD- und E-Commerce-Richtlinien handelt, ergeben sich für solche Formen möglicherweise europarechtlich überhaupt keine Transparenz- und Kennzeichnungspflichten, da sie von keinem der Regulierungsregimes erfasst würden. Gerade die aktuellen weltpolitischen Entwicklungen zeigen auf, dass hier auch im Einzelfall eine sehr sorgfältige Prüfung geboten sein kann.
b) Mögliche unintendierte Nebenwirkungen machen Wirtschaftswerbung zu „politischer Werbung“ (Übererfassung) In der neben a) zweiten Dimension wird jede Wirtschaftswerbung zu politischer Werbung, wenn sie irgendeinen Einfluss auf einen formalisierten politischen Prozess wie eine Wahl auch nur haben könnte. Dadurch müssten z. B. Werbemotive von Unternehmen, die zur Absatzsteigerung ihrer Produkte Narrative vom guten Leben durch Nachhaltigkeit oder vom Erfolg durch Eigeninitiative wählen – Themenfelder, die mit politischen Parteien assoziiert werden –, im Vorwahlzeitraum als politische Werbung bewertet werden. Gleiches gilt für Werbemotive, die etwa humoristisch Bezug auf das Vorwahlgeschehen
nehmen, so z.B. immer wieder in Kampagnen der Autovermietung Sixt.
Zwar wird mit dem Verordnungsvorschlag in Art. 3 lediglich die Harmonisierung mit Blick auf Transparenzvorgaben angestrebt, aber die Auswirkungen einer einheitlichen europarechtlichen Begriffsbestimmung dürften sich zumindest mittelbar nicht darauf beschränken und auch auf Regelungen auf Nationalstaatsebene durchschlagen, beispielsweise das Verbot politischer Werbung im Rundfunk, dem erhebliche demokratiestabilisierende Bedeutung zukommt.
Im Übrigen teilen die Landesmedienanstalten die Bedenken des Bundesrats aus dessen Stellungnahme zum Verordnungsentwurf (BRDrs. 826/1/21, insbesondere Ziff. 25 ff.).
2.2 Haftbarkeit bei Verstößen (Art. 7 Abs. 3)
Der Verordnungsvorschlag muss eindeutig klarmachen, welcher Akteur bei Verstößen die Verantwortung trägt. Die vorgeschlagene Formulierung sieht keine Beweispflicht für die Herausgeber politischer Werbung vor. Im Falle von Verstößen sollte es in der Verantwortung des Herausgebers liegen, schlüssig darzulegen, warum das Kriterium der angemessenen Anstrengung erfüllt wurde. Sollte der Herausgeber dies nicht schlüssig darlegen können, sollte dieser für den Verstoß haftbar gemacht werden.
2.3 Transparenznotiz (Art. 7)
Die Medienanstalten begrüßen ausdrücklich die in Art. 7 Abs. 1 i. V. m. Erwägungsgrund 41 vorgesehene Beibehaltung der Transparenznotiz, wenn politische Werbung weiterverbreitet wird.
In diesem Zusammenhang verweisen die Medienanstalten auf die Vielzahl der Akteure, die diese Bestimmungen betreffen werden. Die Anforderungen an die Transparenznotiz, beispielsweise die Nutzerfreundlichkeit, divergieren in der Praxis je nach Verbreitungsweg. Eine konsistente Anwendung könnte gewährleistet werden, indem die zuständigen Aufsichtsbehörden die Anforderungen durch die Erarbeitung verbindlicher Leitlinien festsetzen. Für eine EU-weite Einheitlichkeit dieser Leitlinien könnte die European Regulators Group for Audiovisual Media Services (ERGA) gebeten werden, allgemeine Grundsätze aufzusetzen.
2.4 Datenzugang (Art. 10, 11 und 13)
Die Medienanstalten begrüßen, dass der Verordnungsvorschlag eine Datenabfragekompetenz für die zuständigen Behörden vorsieht.
Allerdings sollte es den anfragenden Behörden obliegen, festzulegen, in welchem Format die angefragten Daten zu übermitteln sind. Zudem sollte das entsprechende Format auch Rohdaten umfassen. So kann gewährleistet werden, dass die Daten dem Zweck der anzustellenden Untersuchung genügen und nicht bereits durch den Anbieter zusammengestellt wurden.
Sollte es erhebliche Zweifel an Qualität oder Vollständigkeit der Daten geben, sollte es dem Anbieter politischer Werbedienstleistungen obliegen, glaubhaft darzulegen, dass die Daten den Anforderungen genügen.
Die Referenz in Art. 13 sollte neben dem Datenzugang für andere interessierte Akteure auch auf Art. 10 verweisen. Sämtliche zuständige Behörden sollten Zugang zu relevanten Daten erhalten. Auch für die Medienaufsicht kann eine Datenabfrage von höchster Relevanz sein, wenn sie sich um die gezielte oder amplifizierte Verbreitung eines werblichen Inhalts dreht. Entsprechend sollte der Datenzugang bei den in Kapitel III geschaffenen Bestimmungen keinesfalls allein den Datenschutzbehörden obliegen.
2.5 Aufsichtsstruktur (Art. 15)
In Verbindung mit dem Datenzugang steht die vorgeschlagene Aufsichtsstruktur, die die Aufsicht über Art. 12 allein der Datenschutzaufsicht zuschreibt.
Allerdings ist es auch für die Medienaufsicht relevant, die Bestimmungen aus Art. 12 zu überblicken. So soll die in Art. 7 geschaffene Transparenznotiz auch Informationen zum Targeting enthalten. Bei der vorgeschlagenen Struktur würde die Aufsicht über diesen Teil der Transparenznotiz allein den Datenschützern obliegen, während die weiteren Transparenzbestimmungen von allen zuständigen Behörden überwacht würden. Art und Weise der Verbreitung sind zentrale Fragen der Medienaufsicht. Das Targeting und die Amplifizierung bestimmter Inhalte sind Techniken, die ausschlaggebend für den Einfluss oder gefühlten Einfluss einer politischen Werbeanzeige sein können. Dementsprechend muss hier gewährleistet werden, dass auch die Medienaufsicht Kompetenzen in Bezug auf die entsprechenden Bestimmungen erhält.
Insgesamt sollten die Parallelstrukturen, die Art. 15 aufbaut, möglichst abgebaut werden. Die Aufsichtspraxis zeigt, dass Werbeverstöße zentrale Aufgabe der Medienaufsicht sind. Entsprechend sollten die zuständigen Medienaufsichtsbehörden die Bestimmungen überwachen. Ein Rückgriff auf die Mechanismen des Digital Services Act wird die Aufsichtspraxis nur weiter erschweren. Stattdessen sollte der Verordnungsvorschlag den in Erwägungsgrund 60 eingeschlagenen Weg konsequent gehen und sich auf bestehende Kooperationsmechanismen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten besinnen.
2.6 Harmonisierungsanspruch (Art. 3)
Die Europäische Kommission sollte erwägen, bestimmte nationale Vorgaben vom Vollharmonisierungsanspruch der Verordnung auszunehmen. In ihrer aktuellen Form riskiert die Verordnung, tief in die mitgliedstaatlichen Bestimmungen im Medienrecht einzugreifen.
So stellt Erwägungsgrund 13 zwar klar, dass nationale Stilhaltefristen einzuhalten sind, den umgekehrten Fall, also ein grundsätzliches Verbot politischer Werbung mit Ausnahme der Vorwahlzeiten, lässt die Verordnung aber außer Acht, obwohl in der Begründung (S. 6) eine adäquatere Formulierung verwendet wird.
Des Weiteren ist zu prüfen, inwiefern nachgelagerte nationale Konzepte in der Werberegulierung von den neuen Bestimmungen betroffen sein werden. Die Verordnung könnte beispielsweise in bestehende nationale Bestimmungen zur Abgrenzung politischer Werbung von sozialen Appellen betreffen. Eine Über- oder Untererfassung als Folge unklarer Definitionen (s. o.) sollte durch entsprechende Anpassungen am Vorschlag verhindert werden.